Welchem Kalender folgst du? Das Problem der Gebetszeitenkalender muslimischer Religionsgemeinschaften in Deutschland.

Wir haben momentan in Deutschland die Situation, dass tatsächlich fast jede muslimische Religionsgemeinschaft einen eigenen Kalender mit eigenen Berechnungsmethoden hat. Das bedeutet, dass man in einer einzigen Stadt mindestens 5-6 verschiedene Kalender hat, in größeren Städten wie Köln, Hamburg oder Berlin mit einer vielfältigeren religiösen Landschaft gibt es dementsprechend noch mehr. Der Grund liegt vor allem in der unterschiedlichen Berechnung der Zeiten für das Nacht- und Morgengebet in den Sommermonaten. Muslime in Deutschland haben sich bislang nicht auf einen einheitlichen Weg einigen können. Vor allem im Ramadan kommt es besonders unter Jugendlichen immer wieder zu Fragen, nach welchem Kalender sie das Fasten beginnen sollten, ob es besser sei den Kalender mit der frühesten Imsak-Zeit zu nehmen oder den mit der spätesten. Oder ob es gestattet sei, zwischen den Kalendern zu wechseln. Wenn man sich alleine die türkischsprachigen Kalender nimmt, so ergeben sich für den 22.04.2022 folgende unterschiedliche Zeiten für die Morgendämmerung für Köln:

Türkiye-Takvimi: 03:47 Uhr, Fazilet-Kalender 03:55 Uhr, Ditib-Kalender 04:47 Uhr, IGMG-Kalender 04:55 Uhr

Für die Nachtgebetszeiten sieht es ähnlich aus: IGMG 21:55 Uhr, Diyanet 22:05, Fazilet 22:49 Uhr, Türkiye 22:57, Uhr

Es gibt also sowohl zwischen den Imsak-Zeiten als auch zwischen den Nachtgebetszeiten erhebliche Unterschiede. Hier scheinen der Fazilet und der Türkiye Kalender einen ähnlichen Weg zu gehen, in dem sie tendenziell das Nachtgebet später und die Morgendämmerung (imsak) früher ansetzen als Ditib und Milli Görüs. Dieser Unterschied wird noch deutlicher, wenn wir die Zeiten für den 22. Mai nehmen. Der Fazilet-Kalender setzt das Nachtgebet um 00:31 Uhr an und die Morgendämmerung um 01:29 Uhr. Zwischen dem Nachtgebet und der Morgendämmerung bleiben gerade mal 58 Minuten. Der Ditib-Kalender zeigt für Köln am gleichen Datum 22:51 Uhr für das Nachtgebet und 03:57 Uhr für die Morgendämmerung an. Also eine Zeitspanne von 5 Stunden und 6 Minuten, gegenüber den 58 Minuten des Fazilet Kalenders. Der Ditib-Kalender ist deutlich praxisfreundlicher als der Fazilet-Kalender. Warum entstehen diese Unterschiede und nach welchem Prinzip werden die Kalender erstellt? Während der Fazilet Kalender die exakten Gebetszeiten mit standardisierten Methoden anhand der Sonnenwinkel berechnet, verwendet die Ditib alternativ festgelegte Zeiten, um die sehr kurze Zeitspanne zwischen Nachtgebet und Morgendämmerung zu vermeiden und eine leichtere Praktizierbarkeit zu gewährleisten. Das, was hier anhand türkischer Kalender gezeigt wurde, gilt ebenfalls für Kalender aus anderen Moscheeverbänden. Diese vier wurden hier als paradigmatische Beispiele aufgeführt.

Gebetszeitenproblematik in Deutschland und Europa in den Sommermonaten

Gebiete oberhalb des 45. Breitengrads haben das Problem, dass die Sonne in den Sommermonaten, zwischen Mai und August ziemlich spät untergeht und deshalb auch das Nachtgebet erst ziemlich spät verrichtet werden kann. Die Zeit für das Nachtgebet wird als das Eintreten der Dunkelheit verstanden, wenn die Abenddämmerung verschwindet. Das ist im Mai und Juni teilweise erst nach Mitternacht der Fall, wie im obigen Beispiel zu sehen war. Ein weiteres Problem was damit verbunden ist: Nicht nur das Nachtgebet tritt sehr spät ein, auch die Morgendämmerung beginnt sehr früh, so dass zwischen Nachtgebet und Morgendämmerung kaum Zeit bleibt. Vor allem wenn der Ramadan in den Sommermonaten stattfindet, hat man die Situation, dass die tatsächliche Zeit für das Nachtgebet um Mitternacht ist und um kurz nach 1:00 Uhr wieder Imsak. Wenn die üblichen Berechnungsmethoden für das Nacht- und Morgengebet zugrunde gelegt werden, also ein Sonnenwinkel von -17 Grad für das Nachtgebet und -19 Grad für das Morgengebet, dann kommt es zu offensichtlichen Erschwernissen.

Ferner kommt noch hinzu, dass ab dem 49. Breitengrad an manchen Tagen das religionsrechtliche Zeichen für das Nachtgebet komplett ausfällt, d.h. am Horizont wird es nie ganz dunkel, sondern eine Resthelligkeit des Himmels bleibt bestehen. Weder die Zeit des Nachtgebets beginnt, noch die Zeit für die Morgendämmerung lässt sich exakt bestimmen. Man spricht von einer Mitternachtsdämmerung, in der die Abend- und die Morgendämmerung zusammenfallen. Die ohnehin sehr kurze Zeit der Dunkelheit verschwindet gänzlich. Es ist also keine Zeit für das Nachtgebet vorhanden. Das ist kein neues Problem. Die Diskussionen darüber entstanden mit der Einwanderung muslimischer Gastarbeiter in Deutschland und Europa und seitdem sucht man nach adäquaten Lösungen. Bereits 1980 fand in Brüssel eine Konferenz statt, die in Kooperation zwischen der Diyanet und der Islamischen Weltliga (Rabita al-alam al-islami) entstanden ist und wo muslimische Gelehrte aus unterschiedlichen Ländern teilgenommen haben. In dieser Konferenz wurde grob festgehalten, dass die späten Gebetszeiten in den Sommermonaten für die Menschen, die über den 45. Breitengrad (bzw. 49.) leben, eine Erschwernis darstellen und dass deshalb alternative Zeiten eingeführt werden sollten. Über die genaue Form der alternativen Bestimmung der Gebetszeiten gab es keine Einigung. Seitdem haben verschiedene muslimische Organisationen türkisch, arabisch, bosnisch, afrikanischer Orientierung Kalenderentwürfe gemacht, wie sie die schwierigen Gebetszeiten in den Sommermonaten bestimmen werden. Die meisten der heute existierenden Methoden gehen zurück auf die Diskussionen, die 1980 in dieser Konferenz diskutiert und beschlossen wurden, zurück. Wie verfährt man bei einem solchen Fall?

Formale Korrektheit der Gebetszeiten oder pragmatischer Zugang?

Einerseits versucht man sich an die formalen Vorgaben für die Bestimmung der Gebetszeiten zu halten, andererseits sieht man, dass dadurch eine Erschwernis für die Menschen entsteht, wenn sie erst nach Mitternacht das Nachtgebet verrichten und kurz nach 01:00 Uhr wieder mit dem Fasten beginnen müssen. Wie schon erwähnt, führen die meisten alternative Zeiten ein, um die sehr späten Nachtgebetszeiten und die frühe Morgendämmerung zu umgehen, damit die Erschwernis aufgehoben wird und die Gottesdienste leichter praktiziert werden können. Diese Praktik geht zurück auf die besagte Konferenz aus dem Jahre 1980. Andere wiederum setzen die formale Berechnung konsequent auch in den Sommermonaten um und halten an den tatsächlichen Gebetszeiten fest, ohne die Erschwernisse, die dabei entstehen könnten, zu berücksichtigen. Diese seien zumutbar und würden keinen Grund darstellen um von den tatsächlichen Gebetszeiten abzuweichen. Die Mehrheit der Muslime hingegen geht auf die Erschwernisse ein und sieht die Praktikabilität der Normen als Ausgangspunkt der Abwägung, auf Kosten der formal korrekten Berechnung.

Es ist also eine Abwägung zwischen formaler Korrektheit auf der einen und Praktikabilität von Rechtsnormen auf der anderen Seite, wie bei vielen Angelegenheiten auch. Sowohl für Schüler oder Studenten, als auch für berufstätige Erwachsene, die sehr früh aufstehen müssen, sei es eine große Erschwernis. Deshalb sei es legitim, die formalen Gebetszeiten für diese Zeit zu umgehen und alternative Zeiten einführen, damit die Gebete für jeden praktikabel werden.

Man kann die erste Gruppe als Formalisten bezeichnen, weil für Sie die formale Korrektheit der Gebetszeiten auch in den Sommermonaten das Ausschlaggebende ist und die zweite Gruppe als Pragmatiker, weil sie die Praktikabilität der Normen in diesen Zeiten für wichtiger erachten als die formale Korrektheit. Dementsprechend kann man bei den Kalendern eine erste grobe Orientierung in Formalisten und Pragmatiker vornehmen. Diese Unterteilung bezieht sich lediglich auf die Herangehensweise in den drei Sommermonaten, wo die Zeitspanne zwischen Nachtgebet und Morgendämmerung sehr kurz ist. Das ist übrigens auch keine wertende, sondern eine deskriptive Darstellung der Vorgehensweise.

Kalender der Formalisten

Als formalistisch können z.B. die bereits genannten Fazilet-Kalender der VIKZ Gemeinde, der Türkiye-Kalender, Semerkand-Kalender oder der Kalender des Islamischen Zentrums in Hamburg bezeichnet werden. Alle halten an den späten Nachtgebetszeiten bzw. frühen Dämmerungszeiten fest und ziehen eine Erleichterung nicht in Erwägung. Während der Fazilet und der Semerkand-Kalender überwiegend deckungsgleich sind mit nur wenigen Unterschieden, unterscheidet sich der Kalender des IZH von diesen beiden, wobei die formalistische Grundorientierung bestehen bleibt.[1] Das IZH hält an der frühen Morgendämmerungszeit fest, aber beim Nachtgebet legen sie eine praxisfreundlichere Berechnung zugrunde, so dass diese nie so spät beginnt, wie beim Fazilet-Kalender. Hier muss man auch beachten, dass bei den Schiiten die Zusammenlegung der Gebete eine gängige Praxis und von daher die späte Nachtgebetszeit keine allzu großen Probleme bereitet, wie bei den Sunniten. Am formalistischsten lässt sich also der Fazilet-Kalender anführen, wobei der schiitische IZH-Kalender hier zwar weiterhin konsequent die formale Berechnung anwendet, aber sowohl bei der Bestimmung der Nacht als auch der Morgendämmerung einen etwas niedrigeren Sonnenwinkel ansetzt als der Fazilet-Kalender, weshalb die Zeitspanne zwischen Nacht und Morgendämmerung etwas größer ist als bei Fazilet. Auf der anderen Seite setzt der Fazilet Kalender in den Zeiten, wo die formale Bestimmung nicht möglich ist, eine praxisfreundlichere Lösung für das Nachtgebet an, als der IZH Kalender, der pauschal das Nachtgebet auf 00:00 setzt.

Kalender der Pragmatiker

Die Pragmatiker hingegen, die in diesen drei Monaten auf die formal korrekte Bestimmung und Berechnung verzichten und auf alternative Zeiten übergehen, um die Praxis zu erleichtern, zerfallen wiederum in verschiedene Subgruppen entsprechend der angewandten Methoden. Denn es gibt eine ganze Bandbreite an Methoden, die man anwenden kann.

Man kann ab dem Zeitpunkt, wo man die nicht mehr zumutbare Erschwernis festgesetzt hat, die Zeiten der nächstgelegenen Stadt übernehmen, in der „normale“ Zeiten existieren und sich danach orientieren. Oder man orientiert sich nach den Gebetszeiten in Mekka und nimmt den Unterschied zwischen dem Abendgebet und Nachtgebet in Mekka und setzt diese Zeit für die Bestimmung des Nachtgebets ein. Einige wenige Moscheen befürworten die Zusammenlegung der Abend- und Nachtgebete in diesen Zeiten.

Eine verbreitete Methode ist, dass feste Zeiten zwischen dem Abendgebet und Nachtgebet sowie zwischen der Morgendämmerung und dem Sonnenaufgang festgesetzt werden, wie z.B. dass man sagt: 70, 80 oder 90 Minuten nach dem Abendgebet findet immer das Nachtgebet statt. Analog dazu wird die Zeitspanne zwischen Morgendämmerung und Sonnenaufgang auf feste 80-90 Minuten festgelegt. Eine fixe Orientierung wird gewährleistet, in dem man in den problematischen Sommermonaten feste Zeiten einführt. Morgendämmerung beginnt je nachdem 70-80-90 Minuten vor dem Sonnenaufgang und das Nachtgebet beginnt 70-80-90 Minuten nach dem Abendgebet. Das ist sehr pragmatisch und einfach umzusetzen für alle. Dabei nimmt man den durchschnittlichen Unterschied zwischen den Gebetszeiten in Mekka und Medina über das gesamte Jahr und stellt fest, dass der längste Unterscheid zwischen dem Abendgebet und Nachtgebet bei ungefähr 80 Minuten liegt. Diese Zeitspanne wird dann auf die Gebetszeiten in Deutschland übertragen und gesagt, genauso wie die Muslime in Saudi Arabien nie später als 80 Minuten nach dem Abendgebet mit dem Nachgebet beginnen, so können auch die Muslime in Deutschland analog dazu ihre Gebete ansetzen, damit eine Erleichterung herbeigeführt werden kann. Auch diese Methode mit verschiedenen Varianten geht auf den gemeinsamen Beschluss der Brüsseler Konferenz 1980 zurück.

Hier entsteht aber ein Problem, wenn man diese künstlich berechneten Zeiten über die notwendigen Sommermonate hinaus auf längere Zeiträume ausdehnt, wie es viele machen.  Manche setzen diese künstlichen Zeiten für die Hälfte des Jahres an, manche sogar für das gesamte Jahr, um es für die Gläubigen noch einfacher zu machen. Aber dadurch hat man auch für die Winterzeit feste künstliche Zeiten festgelegt, obwohl man dort keinerlei Probleme mit den normalen Gebetszeiten hätte. Man hat also die Ausnahme zur Regel gemacht, was auch nicht ganz unproblematisch ist.

Beispielsweise hatte Ditib bis 2009 lediglich in den Sommermonaten die künstlichen Zeiten eingeführt, um die Erschwernis abzuwehren. Aber ab 2009 hat man sie für das Nachtgebet für das gesamte Jahr angesetzt, um eine einfachere Praxis für die Gläubigen zu gewährleisten. Milli Görüs hatte in seinem Hicret Kalender seit 1980 schon die künstlichen Zeiten sowohl für das Nachtgebet, als auch für die Morgendämmerung eingeführt, die nach verschiedenen Kriterien errechnet wurden. Die Idee mit den künstlichen Zeiten wurde schon in den 60er Jahren von Muhammed Hamidullah angeführt, aber nach der Brüsseler Konferenz wurde sie von den Gelehrten akzeptiert. Die erste, die diese Idee für beide problematische Gebetszeiten umgesetzt hat, war die Milli Görüs Gemeinschaft. Bis 2016 hatte die Milli Görüs 90 Minuten zwischen dem Abendgebet und Nachtgebet angesetzt und zwischen Morgendämmerung und Sonnenaufgang 110 Minuten. Ab 2016 hat man in dieser Hinsicht noch eine zusätzliche Erleichterung eingeführt, in dem die Zeit zwischen Abend – und Nachtgebet auf 70 Minuten und die Zeit zwischen Morgendämmerung und Sonnenaufgang auf 80 Minuten runtergesetzt wurden. Auch hier hat man verschiedene Berechnungen zugrunde gelegt, wonach der Sonnenwinkel beim Nachtgebet und bei der Morgendämmerung auf 16 bzw. 15 Grad berechnet wurden.[1]

Beim Ditib-Kalender beträgt die Zeit zwischen Abend- und Nachtgebet 80 Minuten und zwischen Morgendämmerung und Sonnenaufgang bei 90 Minuten. Auch bei der Diyanet gab es in den letzten 40 Jahren verschiedene Überarbeitungen des Kalenders, um die möglichst praktikabelste Lösung für die Gläubigen zu finden.  Auf dem ersten Blick scheinen diese Zeiten willkürlich gesetzt zu sein, aber jeder Kalender folgt bestimmten Prinzipien, die sie als Berechnungsgrundlage nehmen und die sie von der islamischen Rechtstradition ableiten. Während der Fazilet-Kalender immer konstant 17 Grad Sonnenwinkel für das Nachtgebet und 19 Grad Sonnenwinkel für die Morgendämmerung angesetzt hat, akzeptieren Ditib, Milli Görüs und die allermeisten arabischsprachigen Verbände und Organisationen hier abweichende Sonnenwinkelmaße. Milli Görüs setzt z.B. bei 16 Grad an, wodurch frühere Zeiten errechnet werden können. Der europäische Fatwarat hat das Thema der Bestimmung der Gebetszeiten in Europa in seiner Hauptversammlung 2012 in Istanbul ausführlich behandelt und dort festgehalten, dass  alle Berechnungswinkel zwischen 12 und 18 Grad akzeptiert werden können, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Diese verschiedenen Sonnenwinkel gehen auf Sichtungen zurück, die muslimische Verbände, Dachorganisationen gemeinsam mit Astronomen in den letzten 40-50 Jahren an unterschiedlichen Orten vorgenommen haben, wobei die Qualität der einzelnen Sichtungen teilweise sehr weit auseinandergingen.[1]

Auch hier gab es also eine Abwägung zwischen formaler Korrektheit und Erleichterung. Man hat sich für die höchstmögliche Erleichterung für die Gläubigen, die oberhalb des 45. Breitengrades leben, entschieden, allerdings auf Kosten formaler korrekter Berechnungsmethoden für den Rest des Jahres. Andere Moscheeverbände arabischsprachigen Hintergrunds entschieden sich eher für einen niedrigeren Sonnenwinkel, wodurch ebenfalls frühere Zeiten erreicht werden. Auch bei vielen anderen Moscheeverbänden geht es darum, den möglichen Spielraum der Interpretation zu nutzen, um die Erschwernis zu umgehen. Das ist die Herangehensweise der allermeisten Moscheevereinigungen. Es gibt einen Minimalkonsens unter den Pragmatisten darüber, dass die eingeführten Erleichterungsmethoden verschiedener Moscheeverbände gegenseitig anerkannt und respektiert werden, weil sie anerkannten islamrechtlichen Argumentationsmodellen folgen, obwohl jedes Berechnungsmodell einige Probleme aufweist. Die formalistisch vorbereiteten Kalender hingegen sind sehr konsequent und stringent in der Berechnung der Gebetszeiten. Allerdings haben sie das Problem, dass sie dadurch vor allem in den Sommermonaten für die Allgemeinheit nicht praktikabel sind.

Idealerweise wird also eine Kombination einer formalistischen und pragmatischen Berechnung benötigt, in der man einerseits die Probleme der Sommermonate pragmatisch löst aber für den Rest des Jahres korrekt berechnete Gebetszeiten festsetzt.

Ein neuer gemeinsamer Kalender ab 2023?

Also gab es bislang noch keinen Kalender, der ein Gleichgewicht zwischen formaler Korrektheit und Praktikabilität gewährleisten konnte. Dieses Problem war seit längerem bekannt und deshalb gab es in den letzten Jahren Bemühungen, dieses zu beheben. Die Diyanet und der Europäische Fatwa-Rat waren federführend daran beteiligt, dass die meisten türkischen und arabischsprachigen Moscheeverbände in Deutschland und Europa zusammenkamen, um über eine einheitliche Herangehensweise bei den Gebetszeiten zu diskutieren. In der Istanbuler Konferenz im September letzten Jahres (2021) hat man sich tatsächlich auf einen gemeinsamen Kalender für Gesamteuropa geeinigt. Laut den Vereinbarungen sollen die meisten Verbände, die grundsätzlich eine pragmatische Herangehensweise befürworten, den neuen Kalender im kommenden Jahr (2023) in ganz Europa einführen. Einige Moscheen wie das islamische Zentrum in Aachen oder der IIS in Frankfurt haben den Kalender dieses Jahr schon eingeführt. [1] Worauf hat man sich geeinigt? Was soll besser werden?[2]

Man hat sich darauf geeinigt, dass man sich, so lange es ohne Erschwernis möglich ist, nach den formal korrekten Gebetszeiten orientiert und alternative Zeiten nur dann einführt, wenn die Zeitspanne zwischen dem Nachtgebet und Morgendämmerung zu kurz wäre. Für die Berechnung des Nachtgebets hat man den Sonnenwinkel von -17 Grad und für die Berechnung der Morgendämmerung den Sonnenwinkel von – 18 Grad gewählt, was eine verbreitete Praxis in der gesamten islamischen Welt ist. Alternative Zeiten werden tatsächlich nur für die Monate Mai bis August eingeführt, wo es aufgrund der späten Zeiten zu erheblichen Schwierigkeiten führen würde und wo teilweise die Gebetszeiten gar nicht eintreten. Mit dieser Methode wird die bislang problematische ganzjährige Einführung von künstlichen Zeiten gemieden, was ein erheblicher Fortschritt dieses Kalenders ist. Gleichzeitig hat man aber für die Sommermonate alternative Zeiten festgelegt, um die Erschwernis möglichst zu reduzieren und um die Gebetszeiten so leicht und praktikabel wie möglich zu machen. Dieser Kalender scheint das Gleichgewicht zwischen formal korrekter Berechnung und Praktikabilität besser herzustellen als die bisherigen Versuche einzelner Religionsgemeinschaften. Obwohl man hier natürlich immer noch einige Punkte kritisieren kann, wie z.B. die Kriterien für die Festlegung der Erschwernis. Im Grunde genommen ist es ein willkommener Versuch die gegenwärtige chaotische Situation mit den verschiedenen Kalendern etwas zu ordnen. Als perfekt ist diese Lösung nicht zu bezeichnen, aber ein guter Ausgangspunkt auf deren Grundlage man über weitere Anpassungen verhandeln kann.


[1] Aachen: https://izaachen.de/iza-fuer-internationale-vereinheitlichung-der-berechnung-der-gebetszeiten/; Frankfurt: https://www.iisev.de/startseite/neue-gebetszeiten-warum/. Mohammad Johari, der Imam der Frankfurter Moschee hat in den letzten Jahren zum Thema der Gebetszeiten einige Aufsätze auf seiner Homepage publiziert https://www.monajo.de.

[2] Der neue Kalender wurde bereits in verschiedenen Städten vorgestellt; siehe hier: https://www.diyanethaber.com.tr/yurtdisindan/kopenhag-da-uluslararasi-namaz-vakitleri-kongresi-h20401.html oder hier https://www.facebook.com/izdb.berlin/videos/657086695486699/


[1] Eine gute Studie über Sichtungen in England bietet Asim Yusuf: Shedding Light on the Dawn, Nur al-Habib Productions 2017.


[1] https://www.igmg.org/tr/namaz-vakitlerinde-yeni-duezenleme/


[1] oghat (izhamburg.com)

3 Kommentare zu „Welchem Kalender folgst du? Das Problem der Gebetszeitenkalender muslimischer Religionsgemeinschaften in Deutschland.

Gib deinen ab

  1. Salam

    Danke für den ausführlichen Beitrag.

    Gibt es schon Neuigkeiten bezüglich der Umsetzung?

    Da wir selbst einen eigenen Gebetszeitenkalender haben, würden wir uns ggfs. anschließen. Eine diesbezügliche Einheit wäre mehr als wünschenswert.

    Nur im Sommer wird es wahrscheinlich bei verschiedenen Methodiken bleiben, aufgrund des Ijtihads der früheren Fuqaha.

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